Der Student

Samstag, 7. Januar 2006

Fast Fuß gefasst

Es war Frühling.
Der Student kannte sich mittlerweile einigermaßen an der Uni aus.
Er wusste genau, mit welcher Straßenbahn er bis wohin fahren musste und in welche Richtung er nach dem Aussteigen zu laufen hatte. Es gab drei verschiedene Linien, die ihn zurück in die WG brachten.
Zum Glück lagen die wichtigsten Läden gleich gegenüber, so war er nicht gezwungen, größere Strecken in der Stadt zurückzulegen. Er fühlte sich unwohl, wenn er allein an unbekannte Orte der Stadt fahren sollte.
Warum war das so? fragte er sich. Er kannte sich selbst nur als unternehmungslustigen, neugierigen jungen Menschen, der bis jetzt ohne Furcht durchs Leben wanderte.
Es lag an dieser Stadt, an diesen Leuten, die hier lebten und ihn argwöhnisch beäugten, wenn er durch die Straßen lief.
Manchmal hörte er hinter sich Getuschel.
„Da ist schon wieder so einer. Der sinkt ja unmöglich. Was wollen die alle nur hier?“
Er verstand nicht viel von dem, was da getuschelt wurde, doch er fühlte den Hass.
Er hatte doch diesen Leuten nichts getan? Warum schauten sie ihn so feinselig an?
Welch ein Glück, das er Pedro gleich während der ersten Tage, als er noch Kopflos durchs Unigelände stürzte, begegnet war. Pedro war aus Marokko, genau wie er. Pedro musste wohl gefühlt haben, wie hilflos und verloren er auf dieser riesigen Universität ohne Deutschkenntnisse war, denn er sprach ihn an. Wie sich herausstellte war Pedro gerade auf der Suche nach einem Mitbewohner und er war froh, jemanden gefunden zu habe, mit dem er sich abends unterhalten konnte.
In den Abendstunden zeigte ihm Pedro die coolsten Plätze zum Anhängen, die wichtigsten Einkaufsläden und wo man am besten feiern konnte für wenig Geld. So kam es, das er fast schon Stammgast in der Bar gegenüber war. Die Leute dort waren anders als der Großteil von denen, die er bisher kennen gelernt hatte. Freundlich, geduldig wenn er wieder mal aufgeregt war durch seine limitierten Sprachkenntnisse und sie verbesserten ihn sogar, wenn er wieder etwas falsch aussprach. Dabei waren diese Leute stets nett und lächelten bei ihren gemeinsamen Bemühungen, sich zu verständigen.
Was war das? War da ein Klopfen an der Tür?
Er war heute Abend mit Pedro weggegangen, in eine gemütliche Kneipe. Wie immer war da ein großes Hallo, als Pedro auftauchte. Er hielt sich in seinem Schatten und war ganz zufrieden dabei. Als die Uhr weit nach Mitternacht zeigte, wurde er müde und wollte nach Hause gehen. Die Kneipe war nicht weit von ihrer Unterkunft entfernt. Er ging zu Pedro um ihn zu drängen, auch mit zurück zu gehen. Doch Pedro wollte auf keinen Fall jetzt schon den Abend beenden. So lief er allein in die Wohnung und legte sich schlafen.
Vielleicht hatte Pedro ja seinen Schlüssel vergessen? Er war sich sicher, das er ein Klopfen hörte, also lief er zur Tür und öffnete.
Keiner zu sehen.
„Pedro, bist du das?“ rief er.
Keine Antwort. Das Treppenhaus war still, doch es brannte Licht, also war vor kurzem jemand hier. Hatte er zu lang gezögert und Pedro war wieder nach unten gelaufen?
Er lief zur Treppe und rief noch einmal, „Pedro?“
Wieder keine Antwort, dafür das Geräusch einer zuschlagenden Tür.
Oh shit, dachte er, das wird doch wohl nicht unsere Tür gewesen sein.
Er drehte sich um und starrte auf ihre Wohnungstür. Drei, vier Schritte, er rüttelte wie verrückt an ihrer Wohnungstür, doch sie blieb verschlossen.
Shit, shit shit, dachte er, was mach ich jetzt?
Er stand barfuss, nur mit einem zu großem T-shirt und Unterhosen bekleidet vor seiner Wohnungstür.
Ich kann nur warten, bis Pedro herkommt, dachte er sich.
Hoffentlich kommt er heute auch zurück und lässt sich nicht von irgendeinem Mädchen abschleppen, sorgte er sich.
Es wurde kalt im Treppenhaus. Der Frühling hier ist überhaupt nicht mit dem Frühling zu Hause zu vergleichen, dachte er sich.
Zu rauchen hatte er auch nichts dabei. Er hockte sich hin und kaute auf seinen Nägeln. Wie viel Zeit war wohl inzwischen schon vergangen?
Er wartete und wartete. Kein Laut war im Treppenhaus zu hören.
Inzwischen meldete sich auch seine Blase. Was sollte er nur tun? Er ersuchte, es sich so gut wie es ging zu verkneifen. Die Minuten wurde zu Stunden. Noch immer kein Zeichen von Pedro.
Er wusste, das im Treppenaufgang im dritten Stock eine größere Grünpflanze stand, deren Name er nicht kannte. Scheiß drauf, sagte er sich nach was ihm wie eine Ewigkeit erschien, ich muss pissen.
Er lief ein Stockwerk höher stellte sich vor diese seltsame Pflanze und holte sein Ding aus der Hose. Mit einem Gefühl der Erleichterung entleerte er sich im Blumentopf. Seine Sorge des Überlaufens blieb unbegründet, die Pflanze hatte wohl schon einige Zeit keine Flüssigkeit gesehen. Geschafft, dachte er sich und verstaute seinen Penis wieder in der Unterhose.
Dermaßen erleichtert, überlegte er, was er jetzt tun sollte. Das unbestimmte Warten auf Pedro stank ihm an. So beschloss er, in seine Stammkneipe gegenüber zu gehen, schließlich kannten die Leute ihn ja.
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und lief barfuss, nur mit T-shirt und Unterhose bekleidet aus der Tür. Es kam ihm noch in den Sinn, das er eigentlich Glück hatte weil er keinen Tanga trug.
Er rannte über den Zebrastreifen und trat in seiner Kneipe ein.
Die Leute starrten ihn an, es fiel kein Wort.
„He Kumpel“, rief endlich die Dame hinter dem Tresen, „was iss’n mit dir los? Haste keen zu Hause, oder was?“
Unser Student verstand nichts und stand Achselzuckend vorm Tresen. Mit den Händen gab er der Wirtin zu verstehen, das er ein Bier trinken wollte. Er erzählte ihnen, das er hier nur warte wollte, bis sein Freund Pedro von seinem nächtlichen Abenteuer heimkommt und das er dann mit ihm wieder in die warme Wohnung könne. Er erzählte ihnen, wie er seit Stunden frierend im Treppenhaus saß und wartete, von der Düngung der seltsamen Pflanze erzählte er ihnen aber lieber nichts.
Die Gäste der Bar starrten ihn an. Keiner verstand ein Wort.
„Kann der denn sein Scheiß nicht auf deutsch erzählen?“, ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Der Student saß ziemlich hilflos da. Die Wirtin fasste sich ein Herz und gab ihm ein Bier. Dankend nahm er es entgegen.
„Sie wern doch solchem Abschaum nich noch Bier serviern?“ entrüstete sich ein älterer Herr.
„Ach, kümmern se sich um ihrn eignen Dreck“ antwortete die Wirtin. Se sehn doch das der Bub hier Hilfe braucht.“
„Ja, Hilfe hättn wir 45 gebraucht.“ kam es zurück.
Die Wirtin erwiderte nichts. Es brachte nichts, sich auf solche Diskussionen einzulassen und sie musste an ihren Umsatz denken.
Die Tür öffnete sich und da standen zwei Polizisten in der Tür.
„Hauptkommissar Müller“ sagte der ältere, „es soll hier Ärger geben?“
„Hier gibt’s keen Ärger“ erwiderte die Wirtin.
„Und was ist mit dem da?“ Müller zeigte auf den Student. „Der ist ja nun nicht gerade zum Besuch einer gastronomischen Einrichtung gekleidet.“
„Weiß ich auch nicht“, sagte die Wirtin, „er kam total verstört hier rein und ich verstehe ihn ja auch nicht so gut, da dachte ich, am besten bleibt er erst mal hier und beruhigt sich ein wenig.“
„Ah, beruhigt sich ein wenig, wo sie ihn gar nicht verstehen könne?“ sagte Müller. „Den nehm wir erst mal mit auf’s Revier, ausweisen kann er sich ja anscheinend nicht.“
An den Student gewandt brüllte er „Bürger, könne sie sich ausweißen?“
Unser Student starrte ihn fragend an, er verstand kein Wort.
„Antwort verweigert, mitkommen Bürger“ schrie Müller jetzt.
Der Student erhob sich und blickte fragend in die Runde. Die Gesichter schauten ihn feindselig an. Andere blickten auf ihr Glas oder nach draußen, als wäre nichts passiert.
Nur die Wirtin blickte ihn zunickend an. „Keine Sorge Junge, ich kümmere mich um dich“ rief sie ihm zu. „Hab keine Angst.“
Eingekeilt zwischen den Polizisten lief er hinaus und hatte das Gefühl, dass er sich schon wieder entleeren müsste.

Donnerstag, 24. November 2005

Der erste Tag

“I almost lose my mind”, sagte er. “I can’t find the school.”

Die ältere Frau sah ihn unverständlich an. Wer war dieser Kerl? Was wollte er?
Warum quatschte er sie hier auf der Straße an und belästigte sie?

Der Typ stand da und grinste sie ein wenig unbeholfen an.

Waas, machte der sich etwa lustig über sie oder was? Sollte sie laut schreien? Sollte sie die Polizei rufen? Wollte er ihre Handtasche klauen?
Das liest man ja in letzter Zeit immer häufiger in der Zeitung. Frau niedergeschlagen, Handtasche geraubt, in der Brieftasche waren nur drei Euro drin und so weiter.
Was wollte der Kerl nur von ihr?
Wer weiß wo der her war, so wie der aussieht. Irgendwo aus dem Busch oder so.
Warum schaute er sie nur so grinsend an? Was wollte er von ihr?
Würde er sie umbringen? Sie war erst auf der Bank gewesen um einhundert Euro abzuheben. Hatte er sie beobachtet? Würde er sie umbringen wollen um ihr schwer verdientes Geld zu stehlen?
Jetzt fummelte er auch noch in dieser großen Tasche rum.
Holt er etwa jetzt eine Pistole heraus? Wird er sie erschießen? Sollte sie Schreien?
Sie versuchte zu Schreien, aber es kam nur ein kleines Glucksen aus ihrem Hals.

Der junge Mann holte einen Stadtplan aus seiner Tasche, deutete unbeholfen auf ein eingezeichnetes Gebäude und zuckte mit den Schultern.

Die Frau schaute auf den Plan und erkannte, dass er zur Uni wollte, die drei Straßen weiter war.

Es ist sein erster Tag in Deutschland... im Jahre 2005.

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Immer gerne gegeben ;-)
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che2001 - 15. Mai, 11:56
sehr gelungen!
hehe sehr überraschend und gut gelungen! das ende is...
lisi77772 - 8. Feb, 19:11
wow
das is ein guter text! echt gut geworden!!
lisi77772 - 8. Feb, 19:00
d u
gibts dem schmerz einen namen. lieber gruß - schön...
elsa_fin - 22. Jul, 09:29
Ein gutes Buch ist für...
Ein gutes Buch ist für mich wie guter Sex - es gibt...
clavinca - 21. Mär, 09:22

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